Ergebnissen durch Schreiben

Umkehrerläuterung: Wie man Technik-Laien technische Prozesse erklärt

Wenn ich eine neue Gruppe von Ingenieuren für Englischunterricht habe, gibt es eine Übung, die ich am liebsten mache, um ihnen das Konzept der Prägnanz zu zeigen.

Und so geht sie:

Ich lasse jeden Ingenieur eine 4 – 6 Sätze lange Beschreibung seines Jobs verfassen…

ABER…

… die Erklärung muss so geschrieben sein, dass sie ein Kleinkind versteht.

Das macht echt Spaß (ist aber gar nicht so einfach, wie du vielleicht denkst).

Plötzlich wird aus Photoakustischer Spektroskopie „auf Dinge mit Lasern schießen und dann mit einem Mikrofon den Geräuschen zuhören“, oder aus Projektmanagement wird „sorge dafür, dass die richtigen Leute die richtigen Dinge zur richtigen Zeit tun, aber sorge auch dafür, dass die Dinge nicht zu viel kosten und alle schön brav sind“.

Am tollsten finde ich es, wenn sich jemand entscheidet Metaphern zu verwenden, denn dann wird zum Beispiel aus einem R&I-Fließschema auf magische Weise eine Piratenschatzkarte:

treasure map

(Ja, einige Ingenieure haben tatsächlich Fantasie)

Diese Übung ist so gut für die Erläuterung des Konzepts der Prägnanz geeignet, weil sie das genaue Gegenteil von dem zeigt, was Prägnanz für technisches Englisch ist.

Kleinkinder verstehen keine großen, fiesen technischen Worte, deshalb ist man gezwungen lange Erklärungen mit übertriebenen Beispielen anstelle von einzelnen Worten zu verwenden.

Kurz gesagt: Man muss „unprägnant“ sein.

Nachdem dann das Gegenteil dieser Grundlage für technisches Englisch geübt wurde, setzt sich das Konzept der Prägnanz fast immer in den Köpfen fest.

Hauptsache ohne Fachsprache

Sehr oft müssen wir bei unserem Job als Ingenieur Menschen, die selbst keinen technischen Hintergrund haben, technische Prozesse erklären.

Ein Beispiel:

Möglicherweise muss der kaufmännischen Geschäftsführer die Finanzierung deines nächsten Projekts genehmigen.

Oder vielleicht musst du einem Kontrolleur erklären, warum die teurere Version einer neuen Maschine aus technischer Sicht die zusätzlichen Kosten wert ist.

Jahrelang haben wir studiert, um diese technischen Prozesse zu verstehen…

… also wie erklären wir sie dann den Laien am besten?

Eines muss ich zuerst klarstellen: Laien technische Prozesse wie einem Kleinkind zu erklären, ist überhaupt keine gute Idee. (wahrscheinlich)

Aber wenn du die gleiche Lehrmethode wie bei meiner Prägnanz-Übung oben benutzt, wird es dir viel leichter fallen, eine effektive Erklärung abzugeben.

Mit anderen Worten:

Gleich lernst du, wie man Laien technische Prozesse erklärt, indem du genau das Gegenteil von dem tust, was sie wahrscheinlich erwarten.

Das Ende ist nur der Anfang

Bevor wir anfangen, sieh dir die ersten 90 Sekunden dieses Videos an, indem die Grundlagen des Clausius-Rankine-Kreisprozesses erklärt werden, also wie wir Elektrizität durch die Verbrennung von Dinosaurierkadavern generieren.

Ist dir etwas an der Art aufgefallen, WIE der Prozess in dem Video erläutert wird?

Erlaube mir zu erklären (und sieh es dir am besten danach noch einmal an):

Wenn du den Herstellungsprozess einer Pizza erklären musst, fängst du wahrscheinlich mit dem Teig an und arbeitest dich dann der Reihe nach durch die nächsten Schritte, bis zum Schluss eine köstliche Pizza aus dem Ofen kommt.

In diesem Fall ist eine schrittweise Erklärung völlig okay. Warum?

Zum einen erklärt man Kochprozesse standardmäßig in der richtigen Reihenfolge, aber viel wichtiger ist, dass wir davon ausgehen können, dass jeder bereits den Herstellungsprozess einer Pizza versteht.

Das Video oben ist jedoch nicht für Leute gedacht, die den Clausius-Rankine-Kreisprozess bereits verstehen. Also…

Die Erklärung wird mit dem Endergebnis des Prozesses begonnen und wird dann rückwärts aufgearbeitet.

Diese Technik ist für die Erklärung von Prozessen, die anderen vielleicht nicht geläufig sind, unglaublich effektiv und obwohl sie anfangs möglicherweise kontraintuitiv erscheint, so ist sie doch sehr sinnvoll.

Und hier sind die Gründe dafür:

Das Ende des Tunnels

Denke zurück an die Uni. Hattest du jemals einen Professor, der angefangen hat eine Gleichung an der Tafel zu lösen, ohne vorher zu erklären, was sie eigentlich tut?

Während du wie wild in deinen Notizblock gekritzelt und versucht hast die Gleichung zu verstehen, sind dir diese zwei Gedanken wahrscheinlich durch den Kopf geschossen:

· Worauf zur Hölle will er hinaus?

· Wann ist er endlich fertig?

Wenn du einen Prozess von Anfang an erläuterst, besteht eine große Chance, dass deine Erklärung die gleiche Frustration hervorruft, die du bei deinem lieben alten Professor Doktor Feldmarshall Schiffskapitän Diplom Ingenieur an der Uni gespürt hast.

cookie monster

Für Technik-Laien ist es schon schwer genug den Prozess zu verstehen…

… aber es wird noch VIEL schlimmer, wenn sie keine Ahnung haben, worauf du eigentlich hinauswillst oder wie lange du noch brauchst, um dort endlich hinzukommen.

Bringst du sie in eine solche Situation, so werden sie sich schon auf das Ende deiner Erklärung freuen, bevor du überhaupt angefangen hast.

Der Gipfel des Informationsbergs

Lassen wir einmal unsere Fantasie spielen…

Stell dir vor, dass deine Erklärung ein Berg von Informationen ist. Der Gipfel stellt das Endergebnis deines Prozesses dar.

Wenn du jemanden zwingst, am Fuß des Berges anzufangen und nach oben zu klettern, wird die Anstrengung des Aufstiegs letztendlich dafür sorgen, dass die Vorfreude auf den Ausblick vom Gipfel geschmälert wird (wenn sie überhaupt dort ankommen).

Anders gesagt: Dein Endergebnis kann nicht richtig genossen werden, weil das Gehirn schon durch das Verarbeiten des „Aufstiegs“ ermüdet ist.

mount everest climber

Also mach genau das Gegenteil:

Fliege deine Zuhörer anfangs mit einem Helikopter auf den Gipfel und beginne dein Abenteuer auf der Spitze des Berges…

Lass sie ZUERST die spektakuläre Aussicht genießen, die knackige Bergluft einatmen und ein paar Selfies schießen – solange sie noch all ihre Energie haben.

Wenn du dich dann mit deiner Erklärung abwärts bewegst, kannst du aus den folgenden Gründen eine effektivere Erklärung abgeben (lass die Fantasie eingeschaltet…):

1. Da das Endergebnis etwas Vertrautes ist, können sie es als Anhaltspunkt verwenden und den unbekannten Berg mithilfe der Gravitation herabsteigen. Mit anderen Worten: Du gibst ihnen während deiner gesamten Erklärung eine beständige Verbindung zu etwas, das sie verstehen, somit können unbekannte Schritte viel leichter verarbeitet werden.

2. Da sie bereits wissen, wie großartig die Aussicht von ganz oben ist, werden sie den Berg viel mehr wertschätzen und hoffentlich auch den Sherpa, der sie leitet. (Du bist gemeint)

Mit einem Paukenschlag beginnen

Egal um was für einen technischen Prozess es sich bei dir handelt, der Grund für deine Erklärung ist sicherlich, dass du etwas Positives erreichen willst – ein neues Produkt herstellen, die Produktivität steigern oder die Produktionskapazitäten erhöhen etc.

Aber für Manager und Kunden etc. bedeutet diese positive Auswirkung letztendlich meistens eine Sache: Mehr Geld – entweder mehr verdienen oder mehr sparen.

Wie dem auch sei, „mehr Geld“ ist ein Konzept, das jeder Manager und Kunde versteht. Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass sie das glücklich macht.

Also ziehe deinen Nutzen daraus:

Hole dir ihre gesamte Aufmerksamkeit am Anfang, indem du deine Erklärung mit dem Endergebnis beginnst.

Bereite ihnen einfach zuerst dieses warme, wohlige Mehr-Geld-Gefühl und sofort wird der Rest deiner Erklärung VIEL interessanter…

django - you have my attention

Abschluss

Leider kann effektive Kommunikation für uns Ingenieure (technisch oder auch nicht) nie mit einer Formel definiert werden. Es gibt keine universelle Kommunikationsmethode für jede Situation, weil der Kontext immer ein anderer ist.

Also aufgepasst:

Die Erklärungsmethode, die ich beschrieben habe, ist in vielen Situationen sehr effektiv, aber in keiner funktioniert sie garantiert.

Letzten Endes liegt es an dir zu entscheiden, ob diese Methode für deinen Prozess, dein Publikum und dein Ziel geeignet ist.

Und obwohl das Konzept simpel erscheint, so gibt es doch ein paar Tricks, die du kennen solltest…

„It's a Trap!“

Bei dieser Methode gibt es eine gefährliche Falle, auf die du definitiv achten solltest.

Wenn sie zuschnappt, kann dies deine ganze Erklärung entgleisen lassen und nichts als Chaos und Verwirrung zurücklassen…

ohne, dass du es überhaupt merkst.

Aus diesem Grund wird im nächsten Vorsprung durch Sprache Newsletter eine Anleitung enthalten sein, die dir zeigt, welche Fallen du vermeiden solltest UND außerdem ein paar Tipps, wie du diese Methode am besten in verschiedenen Situationen einsetzt.

Wenn du den Newsletter bereits verpasst hast, habe ich gute Neuigkeiten: Es ist noch nicht zu spät!

Möchtest du auch die Insider-Infos zu dieser Erklärungsmethode haben?

Dann abonniere unten den VdS Newsletter und ich werde dir eine E-Mail schicken, in der ich diese fatalen Fehler erkläre und wie du sie vermeidest.

VORSPRUNG DURCH SPRACHE: der DTE Newsletter

Kein Spam. Keine Werbungen. Kein Bullshit.

Zum Schluss noch ein kurzer Kommentar zum Video am Anfang:

Der Kanal Learn Engineering auf YouTube ist ein TOLLES Hilfsmittel zum Lernen von technischem Englisch.

Der Redner spricht langsam und sehr klarundin den Videos werden allerhand coole Konzepte, Prozesse und Komponenten des Ingenieurswesens erklärt. Der Kanal ist offensichtlich für Ingenieure gedacht, aber in den Videos werden die Konzepte klar genug erklärt, so dass auch Technik-Laien sie verstehen können.

Du kannst wie immer gerne Fragen stellen, Vorschläge machen oder deine Erfahrung mit dieser Technik mit anderen im Kommentarbereich unten oder direkt mit mir über Twitter teilen!

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Von Marvin Kobold aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt.

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